Presse


Atelierbesuch - Ein Beitrag im ARTIMA-Kunstblog
Veröffentlichung im BARNUM The international photographic review
Sieglinde Gros - A sculptor that leaves her mark
Photographs and words by Massimo Pacifico
https://www.barnum-review.com/portfolio/sieglinde-gros-2/
Auch für die Objekte von Sieglinde Gros muß man sich Zeit nehmen, um alle Schönheiten und Strukturen zu entdecken – und diese Zeit lohnt sich. Auch sie beschäftigt sich mit dem Menschen in unserer Zeit, ihre Skulpturen „Verbundenheit“, „Ausschau“ oder „Taumel“ präsentieren den Einzelnen in seiner Einsamkeit, zeigen aber auch Gruppen in ihrem Mit- und Gegeneinander, verraten mit ihrer Oberflächenstruktur, welche Werkzeuge an Eiche, Buche, Kiefer oder Lärche gearbeitet haben - ein wichtiges Element der Skulpturen, die eine verblüffende Wirkung erzeugen: Eleganz und Kraft strahlen sie aus, auch wenn sie manchmal fast ausgezehrt wirken und Verletzungen andeuten, wie sie für den modernen Menschen so typisch sind. An Giacometti erinnern manche Werke mit ihrer schmalen Silhouette, der „Artist“ weckt Assoziationen an Mattheuers Jahrhundertschritt – und dennoch hat die gebürtige Darmstädterin einen eigenen Stil gefunden. Wer sie je in ihrer Werkstatt im alten Amtshaus der Kellerei Michelstadt besucht hat, weiß, wie sie arbeitet, und wird ihre Handschrift immer wiedererkennen. Manchmal wirkt das Holz so hart, so widerstandsfähig, dass der Schritt hin zum Eisenguß nur folgerichtig war, sichtbar an den „Kleinen Augenblicken“ in Amorbach, Güsse mit einer Auflage von je sieben Exemplaren.
Die Auseinandersetzung mit moderner Kunst verlangt ein bisschen Anstrengung, verlangt Zeit und die Bereitschaft sich auf Neues einzulassen. Die Ausstellung in Amorbach bietet dazu eine gute Gelegenheit.
Heinz Linduschka
Sendung vom 29. November 2003
Kleine Augenblicke in Holz - Kunst mit der Kettensäge
Zierlich, die kleine Frau, die mit der Kettensäge Skulpturen in hölzerne Rohlinge schnitzt. Sie sagt, sie brauche den Widerstand, den ihr das harte Material entgegensetzt. Sie sagt, das Unberechenbare ist ihr wichtig. Mit der Kettensäge vermag sie expressiven Lebenslinien in die Leiber ihrer Figuren zu setzen. Sie sagt, sie möchte keine Figuren erarbeiten, die glatt und oberflächlich sind und dadurch austauschbar wären. Ihr Anliegen ist es, flüchtige Momente festzuhalten, ihnen eine gewisse Intensität und Dauerhaftigkeit zu verleihen, die sie sonst nicht haben, weil man im alltäglichen Leben unbemerkt darüber hinwegguckt.
Die Bildhauerin Sieglinde Gros lässt den Augenblick gefrieren. Bannt mit der Kettensäge flüchtige Alltagsmomente ins spröde Holz. Ihre Figuren - aus Eiche, Obsthölzern, Lärche - sind anmutig, archaisch, tragen Spuren vom lebendigen Prozess ihrer Arbeit. Nicht unberührbar sollen ihre Statuen sein, nicht nur zum Anschauen, auch zum Anfassen sie da.
Zuerst der Blick
Zuerst ist es ihr Blick, der den hölzernen Rohling zum figürlichen Objekt entkleidet. Ob zierliche Scheite oder schwere Baumstämme - Sieglinde Gros nimmt beim Bearbeiten die Formen auf, die dem Holz schon innewohnen. Am Tonmodell skizziert sie ihre Idee von der Skulptur. So weiß sie um jeden Schnitt, den sie setzen muss.
Mitunter lässt sie sich von Gebrauchshölzern inspirieren. Nimmt Stickscheite aus einem Abrißhaus, gruppiert sie zu skurrilen Plastiken. Zu einer Gruppe von Menschen, vernetzten Hochhäusern, vereinzelten Figuren.
Im Odenwälder Michelstadt, im alten Amtshaus der Kellerei, liegt ihr Atelier mit ständiger Ausstellung, das zugleich Werkstatt ist. Dort arbeitet Sieglinde Gros - die studierte Bildhauerin ist - auch mit traditionellem Bildhauerwerkzeug.
Simone Jung
Blickten sie noch vor zwei Monaten von Kunst Schaefer aus in die Fußgängerzone, so atmen die stelenhaften Einzelgänger von Sieglinde Gros nun Inselluft auf der Rettbergsaue.
Scharf geschnittene Gesichter, die in Gros` NACHTFAHRTEN einen zwiespältigen Eindruck hinterlassen- Gefährten und solipsistische Wesen nächtlicher Begegnung- im Entrée der Scheune, die im Sommer ein Hort der Kunst ist.
Gesichter voller Empfindsamkeit, mit dem Beitel in Tableaus aus Holz gefurcht und mit Pigment konturiert, streifen den Betrachter. Fenster, gleich eines vorbeifahrendes Zuges, öffnen sich für einen kleinen Augenblick in die Nacht. Kindhaft, weil genial einfach im Strich, verdichtet die Künstlerin Gestalt und Ausdruck. Ohne ihr Material irgend zu zwingen, arbeitet sie auch aus Stickscheiten, ehemaligen Verbindungsträgern eines Fachwerkhauses, Menschliches heraus. Verkantete Figuren, die auch in der Gruppe ihre Individualität wahren.
Andrea Springer
Sieglinde Gros setzt dagegen- kontrastierend kompromisslos in ihren geraden Linienführung- die Selbstbeschränkung auf das, was das Fundholz in sich birgt, um es zu bergen. Sich vom Holz leiten lassend, arbeitet sich Gros bis zu den stelenhaften Einzelgängern in den Stickscheiten hervor. Als ehemalige Verbindungsträger des Fachwerks eines 300 Jahre alten Hauses tragen sie schon die Spuren menschlicher Existenz in sich. Nichts zwingend, nähert die Bildhauerin sich gern auch gegen den Widerstand solch spröden Materials, wie der Eiche, und entdeckt die neue Daseinsform darin.
Das Vorgefundene und das im Werkstoff Erkannte verbinden sich in den Skulpturen zu wunderbarer Synthese. Geist und Form fallen sinnreich in eins, wie bei dem PUBLIKUM. So individualistisch eigenständig die Figuren auch im Raum stehen, so verbindet sie doch ihr Blick.
Woher die Skulptur stammt, lässt sich zu ihren Füßen ablesen. Die wachsen nämlich aus einem Holzblock heraus. Zwischen den Füßen quillt das Holz in Schichten heraus, es wirkt wie dünne, aufeinandergelegte Schieferplatten. Das gleiche Motiv wächst aus dem Schritt der nackten Frau nach unten, sei es ein überdimensioniertes weibliches Geschlecht, sei es ein Faltenwurf auf dem sonst nackten Körper.
Die Assoziationen sind frei, sagt Sieglinde Gros. Ihre Figur, der sie mit grauer Lasur ein wenig Patina verlieh, wirkt streng, ohne jede Schnörkel, geradezu verschlossen. Den Zugang müssen sich die Betrachter erarbeiten. Vielleicht fällt die besonders tief eingegrabene Spalte des Hinterteils auf, die ablesen lässt, dass dieser Körper so einiges erlebt hat. Vielleicht sind es auch die so wunderbar aus dem Holzblock hervor wachsenden Füße, die den Blick inniger werden lassen. Da tun sich plötzlich Risse auf im leicht vorgewölbten Bauch, tiefe Spuren, die die Kettensäge zwischen den Brüsten hinterließ. Der Blick wird wach für Glattes und Ungehobeltes, für Spuren der künstlerischen Arbeit und Spuren, die das Holz selbst mitbrachte. Die Augen wandern höher und bleiben hängen am überlangen Hals, an dem verschlossenen Gesicht, das asketisch wirkt, schmerzlich ein wenig, stolz auch und in seiner überindividuellen Form viel weniger preisgibt als der übrige Körper. Auf dem Kopf trägt die TRÄGERIN ihre Last, die sich wieder zum Baumstamm schließt.
Susanne Schmidt-Lüer